Beluga - Spuren eines Untergangs
Er ist jetzt wieder ganz oben: 8. Stock, viel weiter kommt man in Oldenburg nicht.
„Die letzten fünf Jahre waren die Hölle“, sagt Niels Stolberg, 55 Jahre alt. Er blickt durch die großen Fenster nach unten auf die Straße: winzige Menschen, winzige Probleme.
Stolberg war der Star, ach was, er war der Popstar der norddeutschen Wirtschaft: Gründer der Schwergut-Reederei Beluga, Weltmarktführer, Herr über 72 Schiffe und 600 Mitarbeiter. Multimillionär. Erfinder. Talkshowgast. Kunstmäzen. Sportsponsor. Erbauer einer Schule für Tsunami-Waisen in Thailand. Sammler von Ehrentiteln und Preisen: Unternehmer des Jahres, Entrepeneur des Jahres, Mutmacher der Nation, Ehrenbürger.
15 Jahre ging es für Niels Stolberg nur bergauf. Dann fiel er, es dauerte wenige Minuten.
1. März 2011, nachmittags, die Beluga-Zentrale auf dem Bremer Teerhof („Bremens modernstes Bürohaus“, schreibt zwei Jahre zuvor die Boulevardpresse). Im Kalender ist ein Meeting eingetragen, Business as usual. „Wie war das Wochenende?“, fragt ihn Hermann Dambach. Dambach ist der Deutschland-Chef des US-Investors Oaktree. Stolberg hatte die Amerikaner 2010 ins Boot geholt; Beluga war durch die weltweite Schifffahrtskrise in schwere See geraten. 2008 hatte die Reederei noch 70 Millionen Euro Gewinn gemacht, Ende 2009 brauchte sie dringend frisches Geld. Mit Oaktree kam frisches Geld nach Bremen, rund 100 Millionen Euro.
Es ist Stolbergs Meetingraum, Stolberg sitzt auf seinem Stammplatz. Links und rechts von ihm sitzen Oaktree-Anwälte. Stolberg sieht in ihre ernsten Gesichter, “irgendwie komisch”, denkt er noch. „Und dann schlagen sie auch schon auf mich ein“, so erinnert Stolberg sich. Sie brüllen schlimme Worte, „Betrug!“, „Fälschung!“. Stolberg wird schwindlig, er legt seinen Kopf auf den Tisch, alles dreht sich, ihm ist schlecht.
Jemand begleitet ihn in sein Büro, Stolberg folgt ihm wie in Trance. Er darf ein paar persönliche Gegenstände einpacken. Er muss seine Schlüssel abgeben. Dann steht er draußen auf dem Teerhof, hinausgeworfen aus seiner eigenen Firma.
“Mein Baby”, so nennt er Beluga noch heute.
„Das war das Schlimmste, was mir je passiert ist“, sagt Niels Stolberg in seiner Wohnung im 8. Stock.
Es geht schlimm weiter für ihn, mit Strafanzeigen, Vernehmungen, Durchsuchungen. Oaktree stellt Strafanzeige, die Zeitungen berichten über Betrugsvorwürfe, Bilanzfälschungsvorwürfe, Untreuevorwürfe. Stolbergs Vermögen wird eingefroren, er muss Privatinsolvenz anmelden. „Überall klebte der Kuckuck“, erinnert er sich, „sogar am Klavier.“ Die Boulevardpresse besucht den „Pleite-Reeder“, große Schlagzeile: „Ich lebe von 1800 Euro im Monat!“
Die Zeitungen berichten über immer neue Vorwürfe. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg ermittelt wegen Gläubigerbegünstigung; Stolberg soll unerlaubt eine Yacht verkauft haben, als er längst zahlungsunfähig war. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt wegen Waffenschmuggels; Stolberg soll Panzer nach Myanmar verschifft haben. Die Staatsanwaltschaft Bremen ermittelt wegen Spendengeld-Veruntreuung; Stolberg soll 500.000 Euro aus der RTL-Spendengala, die für seine “Beluga School for Life” in Na Nai, Thailand gedacht waren, auf ein Beluga-Konto überweisen lassen haben. Die Schule, die er für Tsunami-Waisen gebaut hatte.
“Das hat mich so getroffen”, sagt Stolberg. Den Vorwurf nennt er “absurd”, in die School For Life seien mindestens 5,5 Millionen Euro privates Geld geflossen. “Ungelogen”, sagt er.
Mittlerweile ist dieser Vorwurf vom Tisch, ebenso wie die Vorwürfe Gläubigerbegünstigung und Waffentransport. Die Staatsanwaltschaften haben die Verfahren eingestellt, allerdings nicht wegen erwiesener Unschuld, wie Stolberg es sich gewünscht hätte. Sondern nach Paragraf 154 Strafprozessordnung: Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen, wenn die Strafe neben der Strafe für eine andere Tat, die der Beschuldigte zu erwarten hat, kaum ins Gewicht fällt.
Betrug, Untreue, mehrfacher Kreditbetrug, das hat Gewicht – das sind die Vorwürfe, für die sich Stolberg ab dem 20. Januar vor dem Landgericht Bremen verantworten muss. Es geht um mehrere hundert Millionen Euro. 55 Verhandlungstage hat das Gericht vorerst angesetzt; Ende Oktober fällt frühestens ein Urteil. Drei Berufsrichter waren über ein Jahr lang ausschließlich mit der Lektüre von Stolberg-Akten befasst.
Im 8. Stock liest Niels Stolberg zurzeit ebenfalls Stolberg-Akten. Er sagt: “Ich bin froh, dass es endlich losgeht.”
Endlich - das sagen auch viele Beobachter des Falles Stolberg. Das Gericht soll ihnen endlich sagen, wer dieser Niels Stolberg ist: Wohltäter oder Windhund?
Die Vorwürfe der drei Anklageschriften
Höchstpersönlich“, knurrt Diedrich Möhring, „haue ich demjenigen aufs Maul, der sagt: Stolberg hat sich selbst die Taschen vollgemacht!“ Möhring, 72 Jahre alt, zwölfeinhalb Jahre lang Bürgermeister von Elsfleth, ruhig, bärtig, Pfeifenrauchertyp, gerade grüßte er noch freundlich brummend nach links und rechts. Er sitzt im „Panorama“ an der Elsflether Kaje, durch die großen Fenster blickt er auf die „Großherzogin Elisabeth“, den Dreimaster, auf den Fahrten war Möhrings Platz immer ganz vorn am Klüver.
Elsfleth, Landkreis Wesermarsch, ist ein 9500-Einwohner-Städtchen am Zusammenfluss von Hunte und Weser, eine Seefahrtsstadt: mit Werften, Reedereien, Nautischen Verbindungen, der “Großherzogin Elisabeth” - und mit einem deutschlandweit einmaligen Ausbildungsstandort, dem “Maritimen Campus”.
Und den, sagt Diedrich Möhring, hätte es ohne Niels Stolberg so nie gegeben.
Man kann mit Möhring im matten Dezemberregen den Huntedeich hochlaufen und sich alles zeigen lassen: den Kransimulator, das Wasserrettungsbecken, die Fachhochschule mit der Mensa, das gläserne Forschungszentrum, die Verladeeinrichtungen im Hof, das Fallboot, den Brandschutzcontainer, das Brandrettungsheck der “Lili Marleen”, an der der Adenauer im Dezemberwind flattert.
Möhring ist sichtlich stolz auf das, was die Stadt dort auf dem riesigen Gelände der ehemaligen Schnapsfabrik “Pabst und Richarz” geschaffen hat. Es hat Elsfleth verändert.
Möhring war der Bürgermeister - welche Rolle spielte bei all dem Niels Stolberg, der Geschäftsmann, der Popstar, der Erfinder?
Stolberg, geboren in Brake, Wesermarsch, Nautik-Studium in Elsfleth, Wesermarsch, war “die planerische und finanztechnische Graue Eminenz”, so sieht es der Ex-Bürgermeister. “Stolberg hat gesagt: Ich weiß, welche Ausbildung meine Leute brauchen. Er hat vor Ideen nur so gesprüht, er hat Kontakte hergestellt, er hat Geld aufgetrieben.” Möhring sucht ein Beispiel, er zeigt auf die andere Deichseite: “Es kam die Frage auf: Wo sollen die Studenten denn alle wohnen? Stolberg hat dann einfach angefangen, das Studentendorf zu bauen.”
Möhrings Blick schweift über den Campus. “So etwas kann man ohne solche Menschen nicht schaffen.”
Eine Stadt kann nicht per Beschluss “Danke” sagen. Im November 2010 trug die Stadt Elsfleth dem ehemaligen Elsflether Studenten Stolberg die Ehrenbürgerwürde an. Die Entscheidung im Rat fiel einstimmig, betont Möhring, damals parteiloser Bürgermeister.
Dann knurrt er wieder: 2011, er war noch Bürgermeister, riefen ihn die Journalisten im Rathaus an. Oaktree hatte Stolberg gefeuert, die Ermittlungen liefen - ob die Stadt ihm nicht die Ehrenbürgerwürde entziehen wolle? Möhring ist immer noch wütend, wenn er darüber spricht: “Erstens gilt die Unschuldsvermutung, Niels Stolberg ist bislang nicht verurteilt! Zweitens: Selbst wenn er verurteilt werden sollte - das ändert doch nichts an dem, was er für Elsfleth getan hat!”
Stolberg hing tief drin in Elsfleth: mit Beteiligungen aus Stolberg-GmbHs (es gab zahllose davon), mit eigenem Geld, er war sogar Geschäftsführer des “Maritimen Kompetenzzentrums” in Elsfleth. Als Stolberg unterging, geriet auch Elsfleth in Seenot. Das Land musste finanziell einspringen, ebenso der Landkreis. Das Maritime Forschungszentrum konnte nur mit Mühe gerettet werden. Möhring sagt es heute so: “Wir haben ein paar Schrammen abbekommen. Aber wir sind noch da.”
Stolberg und Elsfleth. Gerade erst haben sie Stolberg wieder zum Nautischen Essen in der Elsflether Stadthalle eingeladen; der Ministerpräsident war auch da. Stolberg sagte wie immer ab, “ich meide die Öffentlichkeit”, sagt er in seiner Oldenburger Wohnung. Hinterher schickte ihm der Vorsitzende des Nautischen Vereins Niedersachsen, Kapitän Horst Werner Janssen, auch er ein Elsflether Ehrenbürger, ein Geschenk: die Jubiläumsschrift des Nautischen Vereins mit Widmung. “Lieber Niels”, steht darin, “wir Elsflether haben nicht vergessen, was Du Großes für Elsfleth getan hast.”
Niels Stolberg: Kapitänssohn, selbst Kapitän, großes Patent. Ein jungenhafter Typ mit leichtem Graustich im hellen Haar; auch heute, nach fünf Jahren empfundener Hölle, sieht er immer noch jünger aus, als er ist.
Er hat mit einem Co-Autor ein Buch über sein Leben geschrieben: “Unsinkbar” ist der Titel, der Untertitel lautet “Niels Stolberg. Ein deutscher Reeder über seinen Aufstieg und Fall“. Eigentlich sollte es im Herbst erscheinen, jetzt melden die Online-Händler: “Derzeit nicht verfügbar. Ob und wann dieser Artikel wieder vorrätig sein wird, ist unbekannt.” Stolberg spricht derzeit nicht über sein Buch; nach NWZ-Informationen wird es nicht erscheinen, bevor der Prozess gegen Niels Stolberg beendet ist.
Lesen kann man es also noch nicht, aber dem Hörensagen nach wird Stolberg auf den 230 Seiten vor allem versuchen, Niels Stolberg zu erklären: einen Jungen, der am Wasser aufwuchs und der immer am Wasser bleiben wollte. (Er wohnt auch heute in Oldenburg Sichtweite der Hunte.) Der einen immer größeren Ehrgeiz entwickelte und sogar um die deutsche Meisterschaft mitsegelte. Der nie ein “normaler” Unternehmer sein wollte, “dem es nur um Profit geht”, wie er sagt. Der stattdessen ein “sozialer Unternehmer” sein wollte. Gern erzählt Stolberg von seiner Mutter, einer Buchhändlerin: “Sie hat mir mitgegeben: Du sollst nicht nur ein erfolgreicher Mensch sein - Du musst auch ein guter Mensch sein.”
Es gibt Stolberg-Unterstützer, man findet sie auf Facebook etwa in der Gruppe “The Spirit of Beluga Niels Stolberg” unter dem Motto: “Niels Stolberg ein Mann mit Visionen”. Oder in Blogs mit Namen wie “Diewahrheituebernielsstolberg” (nicht mehr aktiv). Es sind regelrechte Stolberg-Fans, die dort Sätze schreiben wie: “Ich werde nie vergessen, was er für den VfL Oldenburg getan hat.” Stolberg unterstützte die Bundesliga-Handballerinnen des VfL, er sponsorte auch die Bundesliga-Fußballer von Werder Bremen. “Mit Stolberg war Werder erfolgreich”, schreibt jemand. Die Unterstützer loben Stolbergs Elsfleth-Engagement, die School For Life, den Beluga-Kindergarten auf dem Teerhof, die “Beluga Kids”.
Im Internet findet man aber auch Stolberg-Kritiker, verbissene Gegner, die glauben: Alles, was Stolberg tat, diente einem Stolberg-Zweck. Brachte sein Thailand-Engagement nicht Vorteile für seine weltweit operierende Beluga Shipping GbmH? Sicherte sich der Marktführer Stolberg mit seinem Elsfleth-Engagement nicht den ersten Zugriff auf die knapper werdenden Fachkräfte? Waren die “Beluga Kids” nicht wichtig für die Mitarbeiterbindung? Wollte er aus Spiekeroog, wo er ein Haus hatte und so viel Geld investierte, nicht für sich selbst ein ganz privates Sylt basteln? War nicht jedes soziale Engagement werbewirksam, jeder Talkshow-Auftritt, jede Preisverleihung? Oder ging es vielleicht einfach nur um diesen Zweck: geliebt zu werden?
Vertrocknetes Herbstlaub liegt hinter der schmutzigen Glastür, vor der Tür klebt in einem halbblinden Schaukasten ein Blatt Papier: “Liebe Besucher der Insel Spiekeroog, das Galerie- und Künstlerhaus bleibt leider vorerst geschlossen.” Im Künstlerhausfoyer erinnern ein paar Plastiken an früher, außerdem ein Aquarell: weißes Haus, grüne Fenster, über der Tür der Name “Inselzauber”, Stolbergs Buchhandlung. Das Original steht ein paar hundert Meter weiter dorfeinwärts; den Schriftzug “Inselzauber” haben die neuen Besitzer von der Fassade gekratzt.
Das leere Künstlerhaus am Ostrand des Inseldorfes ist das eindringlichste Symbol für Stolbergs Scheitern. So wie sich auf Spiekeroog überhaupt am eindrucksvollsten der Streit um Niels Stolberg nachfühlen lässt - die Diskussion: Wohltäter oder Windhund?
Spiekeroog wirkt von allen ostfriesischen Inseln am meisten aus der Zeit gefallen - wegen der malerischen Häuschen, wegen des fehlenden Flugplatzes, wegen der tidenabhängigen Fährverbindung, wegen des Bundespräsidentenporträts im Bürgermeisterbüro: Johannes Rau, Bundespräsident von 1999 bis 2004, verstorben 2006. (Allerdings hängt Rau dort nicht etwa, weil die Insulaner die drei Rau-Nachfolger verschlafen hätten, sondern weil Rau Spiekeroog-Dauergast war und Spiekerooger Ehrenbürger.)
Dem Rau-Porträt gegenüber sitzt der Inselbürgermeister: Matthias Piszczan, 54 Jahre alt, seit 2004 auf der Insel, 2006 erstmals Bürgermeisterkandidat, 2014 gewählt. Piszczan sagt: “Es gab hier eine extreme Lagerbildung, der Graben zwischen Stolberg-Befürwortern und Stolberg-Gegnern war sehr tief.”
Treffen mit einem Stolberg-Befürworter: Ulrich Bauer, 73 Jahre alt, seit 40 Jahren im Rat, Inselbürgermeister von 1981 bis 1986 und von 1996 bis 2001.
Eigentlich wollte er heute ja jagen gehen, “Rehwild”, sagt er, aber das wird jetzt nichts mehr. “Stolberg, das dauert länger”, brummt Bauer. Margret, seine Frau, setzt schon mal den Tee auf. Ein paar Kekse hat sie auch noch.
Bauer, den auf Spiekeroog alle nur “Uli” nennen, war Bürgermeister, als er Ende der 90er einen jungen Mann in einer Spiekerooger Kneipe traf. “Ein interessantes Gespräch”, erinnert er sich. Der junge Mann, ein aufstrebender Unternehmer, hatte sich alle ostfriesischen Inseln angeschaut. Aber erst an Spiekeroog habe er sein Herz verloren, erzählte er Bauer.
Der junge Mann kaufte von der Gemeinde ein Grundstück auf Spiekeroog. Als er Bauer die Baupläne für sein Noldehaus zeigte, sagte Bauer entsetzt: “Dachgauben? So was gefällt uns gar nicht!” Der junge Mann packte den Bauplan ein und fragte: “Was gefällt euch denn?”
Heute sagt Bauer: “Niels hat zugehört. Er war offen für Vorschläge.”
Stolberg, der im Inselwesten ein Privathaus bewohnte, kaufte weiter Häuser. Am Ende hatten selbst viele Insulaner den Überblick verloren: Wieviel Stolberg-Häuser waren es – 10, 14, 15? Er ließ eigene Boote zwischen Festland und Insel hin- und herflitzen, die sogenannten Zicken. Beluga-Geschäftspartner kamen auf die Insel, Werder-Bremen-Profis spazierten über den Süderloog, schicke Frauen auf High Heels, Stolberg-Freunde. (“Leute, die auch mal einen Tausender ausgaben”, sagt Bürgermeister Piszczan.)
Und viele der gut 800 Dorfbewohner bangten plötzlich um ihre beschauliche Insel: Stahl ihnen ein Millionär gerade ihr Spiekeroog?
“So ein Unsinn!”, schimpft Ulrich Bauer. “Niels hat dem Fremdenverkehr keine Immobilien entzogen - er hat sie dem Tourismus hinzugefügt!” Die meisten Stolberg-Häuser waren Hotels, mit Stolberg stiegen die Übernachtungszahlen, sagt er. “Alles was er tat, tat er im Sinne des Dorfes”, sagt Uli Bauer.
Aber was war das genau, was Stolberg für Spiekeroog getan hat?
“Niveau!”, sagt Uli Bauer.
“Aufwertung! Aufwertung! Aufwertung!”, sagt Margret Bauer.
“Eine erhebliche Qualitätssteigerung”, die sieht auch Matthias Piszczan, der aktuelle Inselbürgermeister.
Stolbergs Meisterstück in Sachen Qualität und Aufwertung, auch da sind sie sich Piszczan und die Bauers einig, war: das Künstlerhaus. Der Reeder holte Weltstars auf die Insel, Leute wie die argentinische Cellistin Sol Gabetta. Er stellte originale Nolde-Gemälde aus, rund um die Uhr von Sicherheitsleuten bewacht.
Treffen mit einem Stolberg-Gegner: Hartmut Brings, 50 Jahre alt, Chef der Spiekerooger Zeitung “Insel-Bote”. Eigentlich wollte er gerade Mittagsschlaf machen, aber Stolberg, das geht ja schnell. Brings winkt ab, “das interessiert hier keinen mehr”.
Vom “Insel-Boten” sind es nur wenige Schritte bis zum leerstehenden Künstlerhaus. Den Glanz der Künstlerhaus-Veranstaltungen streitet auch Brings nicht ab. “Tolle Konzerte, tolle Podiumsdiskussionen, das muss man schon sagen. Eine große Sause. Aber eben nichts Nachhaltiges.” Das Konzept sei zu sehr an die speziellen Vorstellungen Stolbergs geknüpft worden. “Das war kein Künstlerhaus, sondern ein Haus der Firma Beluga. Schauen Sie sich das Haus doch an: Das steht jetzt länger leer, als es genutzt wurde. Was soll man damit machen?”
Das Künstlerhaus: Die Gemeinde genehmigte es unter strengen Nutzungsauflagen - keine Gastronomie, keine Gästebetten. Auf der Insel sagt man heute: Wirtschaftlich ist das Haus nicht zu betreiben. (“Jedenfalls nicht so, wie Stolberg es tat”, das räumt sogar Uli Bauer ein.) Stolberg war das offenbar egal.
Brings erinnert sich an Stolberg als an einen jungen Unternehmer, der über die Insel flanierte und allen zeigen wollte, wie so etwas richtig geht: Tourismus. “Aber”, sagt Brings, “der Mann war alles, nur kein Hotelier. Alle Unternehmen waren insolvent, als sie nicht mehr von Beluga gefüttert wurden.”
Und das Niveau? Die Aufwertung? Die Qualitätssteigerung? Brings lacht bitter. Eine Legende nennt er die These, Stolberg habe Innovationen auf die Insel gebracht.
„Stolberg ist gekommen von jetzt auf gleich, und der ist gegangen von jetzt auf gleich”, sagt Brings. Vielleicht hätte der Millionär der Insel auch ohne den Sturz von Oaktree irgendwann den Rücken gekehrt. Dann hätte er, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, kleinkarierte Insulaner zurückgelassen, zu schwerfällig für große Sprünge. “Wir können froh sein, dass es so ausgegangen ist”, sagt Brings. “Spiekeroog ist nicht schuld.”
Im Inselrathaus zählt der Inselbürgermeister die neuen Besitzer der einstigen Stolberg-Immobilien auf, sie kommen aus Köln oder München oder sonstwo her. Nur für das Künstlerhaus findet sich partout kein neuer Besitzer, nicht mit diesen Nutzungseinschränkungen.
Piszczan hätte das Haus mit der Gemeinde gern selbst übernommen, aber dafür reicht das Geld nicht. “Es wäre schön, wenn das Künstlerhaus wieder so betrieben werden könnte wie damals”, sagt er , “das wäre ein toller Anziehungspunkt für Gäste.”
Aber dafür bräuchte man wohl jemanden wie... nun ja.
Immerhin, so der Bürgermeister fröhlich, sei fünf Jahre nach Stolbergs Rückzug der Graben fast wieder zu, der die Insel spaltete: der Graben zwischen Stolberg-Befürwortern und Stolberg-Gegnern. “Bis auf eine kleine Mulde vielleicht”, sagt Matthias Piszczan.
In seinem Haus schüttelt Uli Bauer zornig den Kopf. “Nee”, brummt er. “Diese Kleingeisterei”, die mag er den Stolberg-Gegnern nicht verzeihen.
Hartmut Brings schließt energisch die Tür zur Redaktion des “Insel-Boten”; er hat schon viel zu lange über dieses unwichtige Thema geredet.
Stolberg hat auf Spiekeroog nicht nur ein leeres Künstlerhaus hinterlassen.
Im 8. Stock eines Oldenburger Hochhauses klingelt ein Handy. Kurzes Gespräch, es geht um Schifffahrt, es geht um Schwerguttransporte. “Es gibt immer noch Menschen, die mit mir zusammenarbeiten wollen”, sagt Niels Stolberg, “Menschen, die meiner Expertise vertrauen.” Er ist Geschäftsführer der Beratungsfirma “Best Ship Consult”. “Das ist ein kleines Rad, das ich hier drehe”, sagt er.
1800 Euro im Monat?
Der schwere Schreibtisch der “Best Ship Consult” steht jetzt bei Stolberg in der Wohnküche im 8. Stock. Zuvor hatte Stolberg einige Jahre lang ein Büro in den Oldenburger Schlosshöfen.
Natürlich gab es gleich wieder Gerüchte, als er sein letztes Büro aufgab, Zeitungsartikel sogar: Er soll die Miete nicht gezahlt haben. Stolberg lächelt die Frage weg. Es gab eine Mietminderung wegen eines Wasserschadens, erklärt er; alles längst erledigt, beglichen, vergangen. „Hier ist es ruhiger“, begründet er seinen Rückzug nach ganz oben.
Stolberg hat wiederholt erklärt, dass es einen Stolberg-Freundeskreis gebe, der ihn unterstütze. Mit Hilfe der Unterstützer bezahle er etwa seine Anwälte, die Kanzlei Feigen Graf aus Frankfurt/Main. Feigen vertrat prominente Angeklagte wie Bayern-München-Präsident Uli Hoeneß, Post-Chef Klaus Zumwinkel, Porsche-Manager Wendelin Wiedeking.
“Ich habe Fehler gemacht”, sagt Stolberg mit Blick auf den bevorstehenden Prozess. “Ob das strafrechtlich relevant ist, müssen jetzt andere entscheiden.”
Ein wiederkehrender Vorwurf in den Anklageschriften lautet, Stolberg habe bei Schiffsneubauten seinen Geldgebern gegenüber überhöhte Kosten angegeben, um so höhere Kredite zu bekommen - bis hin zur unüblichen Vollfinanzierung. Die Staatsanwaltschaft spricht von Kreditbetrug.
Andere Leute sagen, Schiffsbau funktioniere ähnlich wie Hausbau: Die Bauherren geben Eigenleistungen an, Handwerksarbeiten, Planungsarbeiten. Stolberg legte immer Wert darauf, Schiffe weitgehend selbst entworfen zu haben.
Geht es “nur” darum: um überhöhte Eigenleistungen? Oder um echten Betrug? Scheinrechnungen seien hin- und hergeschoben worden, werfen ihm die Ankläger vor. Die drei Berufsrichter mussten sich durch ein schwer zu durchschauendes Geflecht von Firmen arbeiten, manche davon mit wechselnden Sitzen - was hatte es damit auf sich?
Auf Spiekeroog sprechen manche Menschen von Stolbergs “Wanderpokal”. Gemeint ist Stolbergs Firma ENESTE Trading GmbH. Stolberg meldete den Firmensitz zum Jahresende mal auf Spiekeroog an, mal in Bad Zwischenahn, wo er jeweils ein Privathaus hatte. Für die Gemeinde, die den Zuschlag bekam, bedeutete das zusätzliche Gewerbesteuereinnahmen in sechsstelliger Höhe. Für die andere Gemeinde bedeutete es einen schmerzhaft empfundenen Verlust.
Stolberg selbst spricht nicht über das, was demnächst vor Gericht verhandelt werden soll. Was er manchmal wiederholt, ist das hier: dass Beluga vielleicht noch existieren könnte, dass 600 Mitarbeiter ihren Job noch haben könnten - wenn Oaktree ihn damals im März 2011 an Bord gelassen hätte. Hinter solchen Sätzen steckt die Frage: Was wollte Oaktree, was war die Agenda der Amerikaner? Und: War Stolberg Täter, oder vielleicht auch ein Opfer?
“Manches bleibt”, sagt Niels Stolberg. In Elsfleth, auf Spiekeroog. Sogar seine Kita auf dem Bremer Teerhof ist noch da. Sie heißt jetzt nicht mehr “Beluga-Kids”, sondern “Entdeckerinsel”. Aber im Fenster klebt noch ein kleiner Wal aus Papier, das Beluga-Symbol.
Anderes ist weg. Allen voran natürlich sein “Baby” Beluga. Auch das Beluga College in Bremen, eine gymnasiale Oberstufe mit maritimen Profil, ist dauerhaft geschlossen. Vom geplanten Internat für den VfL Oldenburg ist nur eine Sporthalle geblieben. Die Beluga School for Life gibt es nicht mehr. Das Künstlerhaus ist nur noch leere Hülle.
Stolberg sagt über sein Engagement: „Das alles hat mir kein Geld gebracht.” Wie viel privates Geld hat er wohl in all diese Projekte investiert? Vielleicht 30 Millionen Euro in 15 Jahren, schätzt Stolberg. “Aber schreiben Sie das nicht, das versteht sowieso keiner.”
Das Gericht wird bei einer Bemessung des Strafrahmens eine Würdigung des sozialen Engagements von Niels Stolberg vornehmen. Viel wird davon abhängen, was die Öffentlichkeit über diesen Mann denken wird: Wohltäter oder Windhund.
Im 8. Stock lächelt Niels Stolberg. Am 24. November ist er 55 Jahre alt geworden. (Die Bauers aus Spiekeroog haben angerufen und gratuliert, die Elsflether, “sehr viele Freunde”, sagt er.) “Ich habe damals gesagt, meinen 55. will ich in Ruhe feiern. Dann muss alles vorbei sein. Aber jetzt geht es erst richtig los.”
Journalisten sagt er gern das, was prominente Angeklagte eben so sagen: dass er voller Zuversicht in den Prozess gehe. Voller Vertrauen in seine Anwälte, die ihm gesagt hätten, dass der Betrugsvorwurf keinen Bestand haben werde. Und voller Vertrauen in die Bremer Justiz, die das genauso sehen werde.
Im persönlichen Gespräch, nach einigen Stunden, sagt er zunächst: dass mit Niels Stolberg auch in Zukunft zu rechnen sei. Dass er hoffe, dass ihm das Gericht eine Chance gebe, “für eine zweites Leben”. Dass er aber nie mehr “das große Rad” drehen wolle.
Und noch ein bisschen später sagt er: dass es manchmal schlimm sei. Dass er manchmal sehr schlechte Nächte habe. Dass er nachts hochschrecke. Voller Fragen: was da wohl kommen möge.
Nachts im 8. Stock, im Winter, in Oldenburg: Da sieht man unten keine winzigen Menschen mehr, keine winzigen Problemen. Da sieht man nur den Nachthimmel, schwarz.